Das Bundesgericht hat im Verfahren 1C_350/2024 soeben (21.05.2025) in öffentlicher Beratung entschieden und dem Beschwerdeführer Recht gegeben. Seine Einbürgerung darf nicht einzig gestützt auf eine Verurteilung wegen eines fahrlässigen Selbstunfalls (Sekundenschlaf) verweigert werden. Vielmehr muss auch in diesem Fall stets die tatsächliche Integration aufgrund der konkreten Umstände betrachtet werden (Gesamtwürdigung).

Der Beschwerdeführer betreibt mit seinem Restaurant in Goldau einen wichtigen Treffpunkt für die Vereinskultur, ist aktiv im Skiclub, geht in seiner Freizeit wandern und erhält positive Referenzen von Politikern von links bis rechts. Er ist somit ausgezeichnet integriert.

Das Bundesgerichtsurteil ist von grundsätzlicher Bedeutung: Das SEM darf künftig nicht mehr formalistisch auf seine starren Schemen abstellen (sogenannte "Killerkriterien"), sondern muss stets anhand der konkreten Fakten beurteilen, ob eine Person integriert ist oder nicht. Diese Rechtsprechung wird zudem unseres Erachtens auch von jenen Kantone, die harte Killerkriterien kennen, zu beachten sein. Das Urteil stellt somit einen grossen Fortschritt dar - es geht in Richtung mehr Demokratie: Wer hier lebt und tatsächlich integriert ist, kann in Zukunft weniger einfach willkürlich von der gleichberechtigten politischen Teilhabe ausgeschlossen werden.

Unten finden Sie unsere Medienmitteilung im Nachgang zum kantonalen Verwaltungsgerichtsurteil.

Im August 2020 wurde der Goldauer La Piazza-Wirt Orhan wegen Übermüdung am Steuer zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Das Departement des Innern wollte ihn deswegen für 5 Jahre von der Einbürgerung ausschliessen. Nun gibt ihm das Verwaltungsgericht Recht: Trotz Vorliegen eines fahrlässigen Strassenverkehrsdelikts muss eine Gesamtwürdigung aller Integrationskriterien vorgenommen werden. Das Departement des Innern und die Schwyzer Gemeinden müssen damit ihre rechtswidrige Praxis in jährlich zig Fällen korrigieren.


Orhan fuhr am 11. August 2020 mit dem Auto von einer Wanderung zusammen mit seiner Frau im Berner Oberland nach Hause. Aufgrund der langen Arbeitstage in den Wochen davor nickte er am Steuer kurz ein und fuhr in einen Pfosten. Dass dieser Selbstunfall bestraft wird, war für ihn klar. Doch in der Folge wollte auch das Departement des Innern des Kantons Schwyz seine Einbürgerung für 5 Jahre aufschieben. Dagegen erhob er Beschwerde.

Perfekt integrierter Goldauer Wirt
«Warum sollte dieser eine Fehltritt etwas über meine Integration aussagen?», fragt sich der Goldauer La Piazza-Wirt. Orhan lebt seit 1994 in der Schweiz und hat sich seitdem perfekt integriert. In seinem Restaurant beschäftigt er mehrere Angestellte und das La Piazza-Logo prangt auf den Fussballtrikots des SC Goldaus. Er ist Mitglied im Skiclub, unzählige Vereine halten in seinem Restaurant ihre Versammlungen ab. Positive Referenzen erhält er genauso von ehemaligen SVP-Kantonsräten wie von SP-Kantonsräten.

Verwaltungsgericht korrigiert Schwyzer Regierung
Das Schwyzer Verwaltungsgericht schreibt entsprechend im Urteil: «In Abwägung der gesamten vorliegend relevanten Umstände ist nicht erkennbar, wie sich dieser einmalige […] Fehltritt im konkreten Einzelfall, in dem alle übrigen Integrationsanforderungen derart positiv zu beurteilen sind, negativ auf die erfolgreiche Integration auszuwirken vermag». Das Gericht entschied, dass Orhan im August 2022 eingebürgert werden muss.

Grundlegende Praxisänderung bei Kanton und Gemeinden
Vertreten wurde Orhan im Beschwerdeverfahren von Elias Studer. Orhans Rechtsvertreter freut sich über das Urteil: «Das Verwaltungsgericht macht damit klar, dass auch beim Vorliegen von kleineren Fehltritten eine Gesamtwürdigung gemacht werden muss. Killerkriterien sind damit nicht mehr zulässig – es muss immer konkret geschaut werden, ob eine Person integriert ist oder nicht.» Das Urteil ist für den Kanton Schwyz von grundsätzlicher Bedeutung. «Es gibt jährlich mehrere ähnliche Fälle wie jenen Orhans beim Kanton und in den Gemeinden», so der Mitinitiant von einbürgerungsgeschichten.ch. «Die Behörden müssen nun dank des Urteils ihre Praxis grundsätzlich ändern: Sie müssen in solchen Fällen eine Einzelfallprüfung vornehmen und dürfen zum Beispiel nicht mehr pauschal Personen aufgrund von kleineren Verkehrsdelikten für 5 Jahre sistieren.»

Unverständlicherweise lässt das Verwaltungsgericht jedoch in Orhans Fall trotzdem eine Sperre für 2 Jahre zu - ohne zu erklären, warum für diese 2-Jahres-Sperre plötzlich keine Gesamtwürdigung mehr vorzunehmen wäre. Damit verletzt das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Aufgrund des langwierigen bisherigen Beschwerdeverfahrens ist jedoch eine Behandlung durch das Bundesgericht vor Ablauf der 2-Jahres-Sperre am 11. August 2022 extrem unwahrscheinlich. Darum können wir diese Frage leider nicht mehr vom Bundesgericht klären lassen.

Trotzdem zeigt der Fall: Mit unserer strategischen Fallführung können wir die Einbürgerungspraxis im Kanton Schwyz grundlegend verbessern und im konkreten Fall einen positiven Einbürgerungsentscheid erreichen.

Mehr Informationen: Verwaltungsgerichtsentscheid III 2021 188 vom 30. März 2022