Kanton und Gemeinden müssen Einbürgerungspraxis anpassen





Im August 2020 wurde der Goldauer La Piazza-Wirt Orhan Tarhan wegen Übermüdung am Steuer zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Das Departement des Innern wollte ihn deswegen für 5 Jahre von der Einbürgerung ausschliessen. Nun gibt ihm das Verwaltungsgericht Recht: Trotz Vorliegen eines fahrlässigen Strassenverkehrsdelikts muss eine Gesamtwürdigung aller Integrationskriterien vorgenommen werden. Das Departement des Innern und die Schwyzer Gemeinden müssen damit ihre rechtswidrige Praxis in jährlich zig Fällen korrigieren.

Orhan Tarhan fuhr am 11. August 2020 mit dem Auto von einer Wanderung zusammen mit seiner Frau im Berner Oberland nach Hause. Aufgrund der langen Arbeitstage in den Wochen davor nickte er am Steuer kurz ein und fuhr in einen Pfosten. Dass dieser Selbstunfall bestraft wird, war für ihn klar. Doch in der Folge wollte auch das Departement des Innern des Kantons Schwyz seine Einbürgerung für 5 Jahre aufschieben. Dagegen erhob er Beschwerde.

Perfekt integrierter Goldauer Wirt
«Warum sollte dieser eine Fehltritt etwas über meine Integration aussagen?», fragt sich der Goldauer La Piazza-Wirt. Tarhan lebt seit 1994 in der Schweiz und hat sich seitdem perfekt integriert. In seinem Restaurant beschäftigt er mehrere Angestellte und das La Piazza-Logo prangt auf den Fussballtrikots des SC Goldaus. Er ist Mitglied im Skiclub, unzählige Vereine halten in seinem Restaurant ihre Versammlungen ab. Positive Referenzen erhält er genauso von ehemaligen SVP-Kantonsräten wie von SP-Kantonsräten.

Verwaltungsgericht korrigiert Schwyzer Regierung
Das Schwyzer Verwaltungsgericht schreibt entsprechend im Urteil: «In Abwägung der gesamten vorliegend relevanten Umstände ist nicht erkennbar, wie sich dieser einmalige […] Fehltritt im konkreten Einzelfall, in dem alle übrigen Integrationsanforderungen derart positiv zu beurteilen sind, negativ auf die erfolgreiche Integration auszuwirken vermag». Das Gericht entschied, dass Tarhan im August 2022 eingebürgert werden muss.

Grundlegende Praxisänderung bei Kanton und Gemeinden
Vertreten wurde Tarhan im Beschwerdeverfahren von Elias Studer. Tarhans Rechtsvertreter freut sich über das Urteil: «Das Verwaltungsgericht macht damit klar, dass auch beim Vorliegen von kleineren Fehltritten eine Gesamtwürdigung gemacht werden muss. Killerkriterien sind damit nicht mehr zulässig – es muss immer konkret geschaut werden, ob eine Person integriert ist oder nicht.» Das Urteil ist für den Kanton Schwyz von grundsätzlicher Bedeutung. «Es gibt jährlich mehrere ähnliche Fälle wie jenen von Orhan Tarhan beim Kanton und in den Gemeinden», so der Mitinitiant von einbürgerungsgeschichten.ch. «Die Behörden müssen nun dank des Urteils ihre Praxis grundsätzlich ändern: Sie müssen in solchen Fällen eine Einzelfallprüfung vornehmen und dürfen zum Beispiel nicht mehr pauschal Personen aufgrund von kleineren Verkehrsdelikten für 5 Jahre sistieren.»

Unverständlicherweise lässt das Verwaltungsgericht jedoch in Orhans Fall trotzdem eine Sperre für 2 Jahre zu - ohne zu erklären, warum für diese 2-Jahres-Sperre plötzlich keine Gesamtwürdigung mehr vorzunehmen wäre. Damit verletzt das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Aufgrund des langwierigen bisherigen Beschwerdeverfahrens ist jedoch eine Behandlung durch das Bundesgericht vor Ablauf der 2-Jahres-Sperre am 11. August 2022 extrem unwahrscheinlich. Darum können wir diese Frage leider nicht mehr vom Bundesgericht klären lassen.

Trotzdem zeigt der Fall: Mit unserer strategischen Fallführung können wir die Einbürgerungspraxis im Kanton Schwyz grundlegend verbessern und im konkreten Fall einen positiven Einbürgerungsentscheid erreichen.

Mehr Informationen: Verwaltungsgerichtsentscheid III 2021 188 vom 30. März 2022