Gehört Rubar zu uns?





«Ich heisse Rubar und ich bin 26. Ich wohne in Schwyz und studiere an der PH Luzern. Ich bin 1994 in der Türkei geboren und im Jahr 2000 in die Schweiz eingereist. Meine Eltern mussten damals aus der Türkei flüchten.

Ich bin jetzt seit 20 Jahren hier in der Schweiz. Seit Juli 2020 erfülle ich die formalen Kriterien für die Einbürgerung. Wieso ging das so lange? Ich hatte 14 Jahre lange den Flüchtlingsstatus. Voraussetzung für eine B-Aufenthaltsbewilligung ist eine abgeschlossene Ausbildung. Das hatte ich 2015 mit der Matura erfüllt. Als ich den B-Aufenthalt bekommen hatte, wurde mir gesagt, ich könne nach 5 Jahren wegen meiner guten Integration problemlos die C-Niederlassungsbewilligung bekommen. Das habe ich dann diesen Frühling gemacht – leider war es aber nicht so einfach.»

Amt für Migration verlangt zu viel fürs C

«Das Amt für Migration verlangte eine Unterhaltsgarantie von mir, weil ich noch in Ausbildung bin. Mit der Unterhaltsgarantie hätte sich eine Person verpflichten sollen, mit bis zu 30'000 Franken für mich zu bürgen. Für die Unterhaltsgarantie hatte ich kein Verständnis. Der ganze Prozess war sehr ermüdend – nach langem hin und her wollte ich schon aufgeben .

Ich hatte dann aber doch den Mut, das mit einem Freund, der Recht studiert, anzuschauen. Er hat mich dann darüber aufgeklärt, dass sie das gar nicht von mir verlangen dürfen. Denn es steht ganz klar im Gesetz, dass man entweder am Wirtschaftsleben teilnehmen muss oder am Erwerb von Bildung. Und Letzteres erfülle ich. Die Unterhaltsgarantie wäre aber als möglicher Nachweis für die Teilnahme am Wirtschaftsleben gedacht. Diesen muss ich nicht erbringen, weil ich mich noch in Ausbildung befinde.

Wir teilten das dem Amt für Migration so mit. Wir bekamen zwar nicht Recht von ihnen – stattdessen boten sie mir eine Alternative an: ich soll auflisten, wie ich im Moment meinen Unterhalt finanziere. Für die Auflistung wurden keine genauen Angaben gemacht. Es war einfach irgendwas. Es schien, als wäre hier Willkür dabei. Als wollten sie nicht eingestehen, dass sie etwas verlangt haben, was sie gar nicht verlangen dürfen. Die Auflistung habe ich dann in Form von Lohnabrechnungen in einem Mail gemacht.

Ich war ziemlich enttäuscht von der Behörde. In meinen Augen sind das Fachleute – man vertraut darauf, dass alles richtig abläuft. Dass ich mich so aktiv informieren musste und mich wehren musste, um Recht zu bekommen, fand ich enttäuschend.»

Killerkriterium Sozialhilfe?

«Im Juli 2020 habe ich die C-Niederlassungsbewilligung erhalten und erfülle damit die formellen Kriterien für eine Einbürgerung. Trotzdem kann ich mich immer noch nicht einbürgern lassen, weil es im Kanton Schwyz so ist, dass man, falls man in den letzten 10 Jahren vor der Einbürgerung Sozialhilfe bezogen hat, diese zurückzahlen muss.

Bei mir ist es so, dass meine Familie 2014, als ich schon volljährig war, Sozialhilfe bezog. Ich war damals noch im Maturajahr. Bei mir sind das insgesamt knapp 14'000 Franken, die ich in diesem Jahr bezogen hatte und zurückzahlen müsste.

Ich finde es unfair, dass ich diesen Betrag zurückzahlen muss. Sonst ist die Regel, dass man Sozialhilfe erst dann zurückzahlen muss, wenn es eine erhebliche Verbesserung der finanziellen Situation gab. Ich bin dankbar für diese Unterstützung und wäre auch bereit, diesen Betrag zurückzuzahlen, wenn es mir finanziell besser gehen würde – im Moment ist es aber nicht möglich für mich. Das heisst, ich kann mich erst 2025 einbürgern lassen. Das heisst nach 25 Jahren, die ich hier in der Schweiz lebe.»




Hinweis: Neue Rechtslage – Sozialhilfe ist nicht zwingend Ausschlusskriterium!

In zwei Urteilen vom Dezember 2019 hat das Bundesgericht festgehalten, dass bei der Beurteilung der Integration immer eine Gesamtbeurteilung gemacht werden muss. Auch wenn jemand das Kriterium zur Sozialhilfe nicht vollständig erfüllt, muss die Integration dieser Person also trotzdem bejaht werden, wenn sie diese Schwäche durch Stärken bei den anderen Integrationskriterien ausgleichen kann.

Für Personen, die während der Erstausbildung Sozialhilfe beziehen oder bezogen haben, darf diese nach Art. 9 BüV seit Januar 2018 überhaupt nicht mehr als Negativkriterium herangezogen werden. Rubar wurde also falsch informiert, als sie vor rund 2 Jahren bei der Gemeinde nachfragte. Tatsächlich erfüllt sie alle Voraussetzungen für die Einbürgerung.

UPDATE 2023:

Rubar hat die Schwyzer Einbürgerungsbehörde inzwischen darauf hingewiesen, dass in ihrem Fall die Sozialhilfe nicht als negatives Kriterium gewertet werden darf. Die Gemeinde Schwyz hat dies akzeptiert und Rubar wurde im April 2023 vom Schwyzer Kantonsrat definitiv eingebürgert.
(Rubars Geschichte wurde 2020 aufgezeichnet.)

Gemeinde Schwyz zeigt sich offen

Inzwischen (nach der Aufzeichnung) hat Rubar nochmals bei der Behörde nachgefragt, ob sie bereit ist, die vom Bund vorgesehene Ausnahme auch tatsächlich anzuwenden. Die Schwyzer Behörde zeigt sich offen. Rubar hat ihr Einbürgerungsgesuch darum nun eingereicht.>

Rubar, die «gute» Ausländerin?

«Dass ich mich immer noch nicht einbürgern lassen kann, verletzt mich. Ich habe auch das Gefühl, dass ich mich im Alltag ständig als «gute Person» beweisen muss. Im Einbürgerungsverfahren wird mein ganzes Leben auseinandergenommen, es wird geprüft, ob ich ein Anrecht auf den Schweizerpass habe – diesen Gedanken finde ich recht erniedrigend.

In diesen ganzen Verfahren, die ich bis jetzt erlebt habe, bekam ich ständig gezeigt, dass ich ein Mensch zweiter Klasse bin, nicht gleichgestellt bin. Dass ich Schikane über mich ergehen lassen muss. Es ist wirklich traurig, ständig erleben zu müssen, dass man anders behandelt wird, einfach weil meine Eltern nicht Schweizer sind.

Wenn man immer so kämpfen muss, ist das schon sehr frustrierend. Beim Umgang mit den Behörden ist man darauf angewiesen, dass die zuständige Person dich sympathisch findet. Denn eine Person kann einem das Verfahren erschweren. Darum wehrt man sich auch oft nicht bei ungerechter Behandlung – man weiss, in Zukunft könnte das zu mehr Problemen führen.»

Hat Widerstand negative Konsequenzen?

«Ich habe mir sehr lange überlegt, ob ich bei diesem Projekt teilnehmen will. Ich habe Angst davor, dass es negative Auswirkungen haben könnte, wenn ich mich selbst einbürgern lassen will. Aber mir ist es auch sehr wichtig, mitzumachen, weil solche Geschichten viel öfters an die Öffentlichkeit kommen müssen, um zu zeigen, was ich als Ausländerin über mich ergehen lassen muss, um eine Niederlassungsbewilligung zu bekommen oder mich einbürgern lassen zu können.»


«Ich hatte Angst, dass meine Teilnahme an diesem Projekt negative Folgen für mich oder meine Familie haben könnte, falls wir in Zukunft einen anderen Antrag stellen oder uns einbürgern lassen wollen. Wenn ich nicht eine unterwürfige Gesuchstellerin bin, sondern eine Person, die sich wehrt, könnte das bei einzelnen Personen in den Behörden nicht gut ankommen. Ich hatte Angst, dass sie dann noch genauer hinschauen und noch mehr Steine in den Weg legen.»